

Das MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main präsentiert im MMK2 Werke aus seiner Sammlung auf eine Weise, wie sie die Besucher noch nie gesehen haben. Dazu wurde der Nachwuchs-Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag, Shooting-Star der deutschen Theater-Szene, eingeladen, ein Konzept für eine Ausstellung zu entwickeln, die man als Gegenentwurf zum White Cube bezeichnen könnte. Marcel Duchamp, der für die Internationale Surrealismus Ausstellung 1938 in Paris die Ausstellungsräume mit schwarzen Kohlensäcken verhängt hatte, hätte die Präsentation von Ersan Mondtag gefallen.
Für die temporäre Präsentation der Sammlung des MMK hat Ersan Mondtag die Räume am Taunustor in einen düsteren Organismus verwandelt, durch den die Besucher wie durch ein Labyrinth gehen müssen. Die Inszenierung Mondtags ist inspiriert von einem Mythos um die Opernsängerin Maria Callas. Um ihre Traummaße zu erreichen, soll die Callas sich zu einer grotesken Diät entschlossen haben. Ein Bandwurm sollte ihr dabei zu ihrer Idealfigur verhelfen, stilecht soll die Diva ihn mit einem Glas Champagner hinuntergeschluckt haben. Der Legende nach soll der Parasit in ihrem Körper ganze Arbeit geleistet haben und nach wenigen Wochen zu einem bemerkenswerten Gewichtsverlust geführt haben. Die Grenze zwischen eisernem Optimierungswillen und Selbstzerstörung macht die Faszination dieses Mythos aus und liefert die Bühne für Mondtags Inszenierung.

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Installation Plastique Fantastique

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Bettina Rheims, 16 Mars Paris / Karen Mulder with a very small Chanel bra
Der Bandwurm, der die Besucher durch das Innere von Maria Callas führt, wurde vom Künstlerkollektiv Plastique Fantastique geschaffen. Das Plastikmonster windet sich durch den labyrinthartigen Ausstellungsparcours und hinterläßt dabei penetrante chemische Ausdünstungen. Wände, Böden und Decken sind mit schwarzen und gelben Plastikbahnen ausgeschlagen, die Künstlichkeit dieser hermetischen Raumstruktur erzeugt beim Besucher ein ungutes Gefühl von Eingeschlossensein. Der Riesenwurm schlängelt sich an einer Auswahl von Werken aus dem Bestand des MMK vorbei, darunter Werke von Marlene Dumas, On Kawara, Bruca Nauman und Andy Warhol, die durch die begehbare Installation von Ersan Mondtag in einen Dialog miteinander treten und in einem völlig neuen Licht erscheinen. Ausgehend vom Mythos um Maria Callas, den eigenen Körper zu formen bzw. zu deformieren, um damit gesellschaftlichen Idealvorstellungen zu entsprechen, steht die Ausstellung I AM A PROBLEM im Zeichen des um sich greifenden Selbstoptimierungswahns.

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Martin Honert, Foto, 1993

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Georg Herold, Verloren gegangener Schöpfungsakt
Ersan Mondtags Theaterinszenierungen sind von der Kunstgeschichte inspiriert.
Der erst 30-jährige Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag kann bereits auf Inszenierungen am Thalia Theater, am Schauspiel Frankfurt und am Maxim Gorki Theater zurückblicken. Mondtags Arbeit verbindet die Bereiche Theater, Musik, Tanz, Performance und Installation, wodurch er beeindruckende Bild- und Klangwelten heraufbeschwört. Sein genreübergreifendes Arbeiten kommt praktisch ohne Sprache aus, wobei er den Menschen mit seinen existenziellen Sehnsüchten und Ängsten in den Mittelpunkt stellt. Mondtags assoziative Bühnenbilder sind in der jüngeren Kunstgeschichte verwurzelt, was ihn für die kuratorische Inszenierung einer musealen Ausstellung prädestiniert. In I AM A PROBLEM untersucht er die vielfältigen sozialen Identitätsentwürfe der Gegenwart und welche Abgründe sich auf dem Weg zum perfekten Körper auftun. Die Ideologie der grotesken Selbstoptimierung endet nicht im Fitnesswahn, plastischer Chirurgie und Selfie-Hype, sondert offenbart eine Gesellschaft, die sich in Auflösung befindet.


Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – John de Andrea, Seated Woman, Black Chair, 1978
Der Körper wird zur formbaren Materie, die eigene Identität zur austauschbaren Maske, am Ende führt das erbarmungslose Streben nach Perfektion zu asozialem Verhalten, Extremismus und Gewalt. „Wer bereit ist, sich selbst zu opfern, ist auch bereit, andere zu opfern.“ erklärt Ersan Mondtag. Für ihn ist der Wahn, sich selbst und seine Umwelt nach einem Idealbild zu transformieren, Ausdruck einer archaischen Urangst vor der eigenen Vergänglichkeit und der Unentrinnbarkeit des Schicksals. Für Mondtag ist der gegenwärtige Umgang mit der Vanitas ein Krieg gegen den eigenen Körper, der jedoch keine Privatsache ist, sondern sich auch gegen Mitmenschen richtet, denn wer perfekt aussehen will, brandmarkt zugleich andere als imperfekt. Die Ideologie dieser Geisteshaltung trägt teilweise paranoide und faschistoide Züge und bringt immer morbidere Auswüchse von Körperdeformationen hervor.

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Bernhard Johannes Blume, Textbild aus „Anweisung zum seligen Leben“ / Stuhl

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Will Benedict, Comparison leads to Violence

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Miriam Cahn, Schönheit
Mondtag versucht diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, indem er Ausstellung und Darstellung miteinander verschmilzt. Während das Theater darstellt, stellt bildende Kunst aus, die Gratwanderung zwischen diesen beiden Polen war für ihn das Spannende an diesem Ausstellungsprojekt. Deshalb hat Ersan Mondtag auf einen linearen Ausstellungsraum verzichtet, der Parcours hat keinen Anfang und kein Ende, der Besucher verliert bald die Orientierung. Während er sich vom Bandwurm der Callas in die Irre führen läßt, wird er schließlich selbst zum Parasiten dieser isolierten Innenwelt, wenn er sich durch bewußt enge Gänge wie durch einen Darmtrakt hindurch zwängen muß. Auch hier kommt wieder die ausgrenzende Ideologie der Selbstoptimierung zum Ausdruck, denn dicke Menschen passen hier nicht durch.
Mit dramaturgischen Effekten bringt Ersan Mondtag die Werke zum Sprechen.
„Ich setzte den Raum gewissermaßen auf Null und übermale ihn mit einem Charakter, einer Atmosphäre, einem Plot.“ erklärt Mondtag seinen respektlosen Umgang mit der Museumsarchitektur. Für I AM A PROBLEM strebt er ein Gesamtkunstwerk an, wie es nur im Theater möglich ist. Die ausgestellten Kunstwerke werden dabei zu Protagonisten auf einer Bühne, die ein Stück über die Niederungen der menschlichen Existenz spielen. Mondtags Ziel war es, die etwa 30 von Direktor Peter Gorschlüter ausgewählten Werke in dem neu geschaffenen Yellow-Black Cube zum Sprechen zu bringen. I AM A PROBLEM ist ein theatraler Parcours, in dem die Exponate durch Soundinstallationen, Lichteffekte, gesprochene Texte und eine Dramaturgie miteinander verbunden werden. Aus an der Decke hängenden riesigen schwarzen Lautsprechern ertönen gurgelnde und schmatzende Geräusche der Eingeweide, sie vermischen sich mit Gesprächsfetzen, die Besucher werden einer regelrechten Schalldusche ausgesetzt, die sich durch das Anstimmen von Kriegsgeräuschen und Ausschnitten aus Puccinis Oper Tosca zu einem apokalyptischen Crescendo steigern.

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Marlene Dumas, Dark Blue, The Insect / Rosemarie Trockel, Ohne Titel (Frau ohne Unterleib)

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Vanessa Beecroft, vb68
Will Benedicts Musikvideo war die Initialzündung für die Ausstellung I AM A PROBLEM.
Comparison leads to Violence ist ein Musikvideo des 1978 in Los Angeles geborenen Künstlers Will Benedict, das für die Noise-Band Wolf Eyes aus Detroit entstand. Eine alienartige Kreatur, die der Mos Eisley Cantina des Star Wars Planeten Tattoine entsprungen sein könnte, diskutiert darin mit Fernseh-Talkmaster Charlie Rose über soziale Themen wie z.B. Assimilation. Während der Diskussion werden immer wieder surreale Videosequenzen eingeblendet, die die globalen Krisen des 21. Jahrhunderts heraufbeschwören und die menschliche Spezies mit Aliens und Cyborgs konfrontiert.
Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Will Benedict, Comparison leads to Violence
Kader Attia hat in der Serie Repair Analysis zerbrochene Spiegel mit groben Schnüren wieder zusammengeflickt. Blickt der Betrachter in den Spiegel wird sein Gesicht von Narben durchzogen, Attila spielt dabei auf irreparable individuelle und soziale Wunden an. In einigen nicht-westlichen Gesellschaften bedeutet der Begriff Reparatur, Narben nicht zu verstecken, sondern zu zeigen und ihnen einen ästhetischen Wert beizumessen.

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Kader Attia, Repair Analysis
Thomas Ruff überlagert in seiner Porträtserie Fotos befreundeter Künstler und Künstlerinnen. Dabei verwischen die Grenzen zwischen männlich und weiblich sowie den Identitäten der porträtierten Personen. Durch die Anonymisierung der Gesichter werden diese zu hybriden Prototypen, die durch die schwarz-weiß Ästhetik der Bilder an Fahndungs- und Vermisstenfotos erinnern.

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Thomas Ruff, andere Porträts
In Bruce Naumans Arbeit Perfect Balance hängt der Kopf eines Mannes mit herausgestreckter Zunge kopfüber von der Decke über einem Monitor, auf dem ein ausgestreckter Mittelfinger zu sehen ist. Die Ästhetik des scheinbar perfekten Gleichgewichts steht mit dem offensichtlichen Gewaltzusammenhang in Kontrast. Der Kopf aus Wachs reflektiert auf ironische Weise die Wahrheit medialer Bilder, denn er balanciert nur scheinbar auf dem im Video gezeigten Mittelfinger. Der Video Loop friert die Bewegung und die Geste ein und stellt einen fortwährenden Schwebezustand her.

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Bruce Nauman, Perfect Balance
Arnulf Rainer setzt sich in seiner Serie Cadaveri mit der Veränderung des menschlichen Gesichts von Toten auseinander. Hierfür verwendet er Fotografien von Totenmasken bedeutender Persönlichkeiten und und betont durch gezielte Übermalungen den Zustand des Todes oder tritt ihm entgegen, indem er die Gesichter der Leichen mit neuem Leben erfüllt. In den Bildern kommt der Vanitasgedanke, die Unausweichlichkeit der Vergänglichkeit stark zum Ausdruck.

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Arnulf Rainer, Cadaveri
Oliviero Toscanis Plakat eines Aidskranken mit Familie, das er für das Modelabel Benetton schuf, sorgte 1992 für einen öffentlichen Skandal. Es zeigt den 33-jährigen AIDS-Aktivisten David Kirby im Sterbebett und seine trauernden Angehörigen. Die Intimität der Szene steht in hartem Kontrast zum Zweck des Plakats, des Teil einer Werbekampagne von Benetton war. Unter Einbeziehung der christlichen Ikonographie bediente sich Toscani gezielt der Mittel der Werbung, um auf die AIDS-Krise aufmerksam zu machen.
Teresa Margolles Catafalco besteht aus den Gipsabgüssen zweier männlicher Leichen. Margolles arbeitete als Gerichtsmedizinerin in einem Leichenschauhaus in Mexiko City, wo sie mit vielen jungen Gewaltopfern und Opfern von Verkehrsunfällen konfrontiert war. Oft war eine Identifizierung der Toten unmöglich, weshalb sie in anonymen Gräbern bestattet wurden. Die beiden Gipsabdrücke erinnern an antike Sarkophage und stellen durch ihre Negativform den Verlust des menschlichen Lebens heraus.

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Teresa Margolles, Catafalco / Oliviero Toscani, Aidskranker und Familie
Robert Gober Werk setzt sich mit den Themen Geschlechtlichkeit und Körperlichkeit auseinander. Die Figur eines männlichen Unterkörpers, der mit menschlichen Haaren besetzt ist, ragt aus einer Wand heraus, die Beine sind mit sanitären Abflusslöchern durchbrochen. Die Zweideutigkeit dieser Arbeit thematisiert zum einen die AIDS-Epidemie in den 1990er Jahren in den USA, zum anderen die dort verwurzelte zwanghafte Sauberkeit. Die Abflusslöcher stehen für das Reinwaschen von Schuld, während der Oberkörper, der offensichtlich in der Wand steckt, die Verdrängung individueller und sozialer Probleme symbolisiert.

Ersan Mondtag, I AM A PROBLEM, MMK2 Frankfurt – Robert Gober, Ohne Titel
23.09.17 – 18.02.18 MMK2 Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main