

Museen gelten als Kathedralen des 20. und 21. Jahrhunderts. Bei keinen anderen Bauprojekten zeitgenössischer Architektur steht das Erleben von Spiritualität so sehr im Mittelpunkt wie bei Museumsneubauten. Baumeister für die Kunst heißt die Ausstellung im Kunstmuseum Ahrenshoop über internationale Museumsarchitektur, in der die Konzepte und Herangehensweise renommierter Architekturbüros vorgestellt werden.
Beim Entwurf für ein Museum handelt es sich stets um eine Gratwanderung zwischen Architektur, die sich in den Vordergrund drängt und die präsentierten Kunstwerke zu Statisten macht, und rein funktionalen Räumen, die auf jegliche Gestaltung weitgehend verzichten, denn Kunst braucht eigentlich nicht mehr als einen White Cube. Doch Museumsneubauten sollen auch städtebauliche Zeichen setzen, die Markenbildung des Museums unterstützen, Besucher anlocken und einen Ort des geistigen Austauschs schaffen. Gute Museumsarchitektur hilft den Kunstwerken, ihre ästhetische und spirituelle Wirkung zu entfalten, sie ins rechte Licht zu setzen und den Dialog zwischen den Exponaten untereinander sowie mit den Besuchern zu fördern. Die Anforderungen können dabei sehr unterschiedlich sein, vom Grafikkabinett bis zur raumgreifenden Installation über mehrere Etagen braucht jedes Kunstwerk eine andere Umgebung.

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst
Museen haben sich von Orten des Bewahrens und Dokumentierens in dynamische Begegnungsstätten verwandelt, Ausstellungsräume werden nicht mehr in Andacht wie ein Tempel betreten, sondern als Labor und Ort des Lernens verstanden, wo das Publikum interaktive Erfahrungen machen kann. Dienende Räume ist der Untertitel der Ausstellung über Museumsarchitektur im Kunstmuseum Ahrenshoop, in der Konzepte, Modelle und die Herangehensweise fünf renommierter Architekturbüros präsentiert werden, darunter das Büro David Chipperfield Architects, das für die Sanierung des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel verantwortlich war, sowie Staab Architekten, die den Entwurf für das Kunstmuseum Ahrenshoop lieferten.
David Chipperfield Architects
David Chipperfield Architects zählt zu den weltweit renommiertesten Architekturbüros und hat seit seiner Gründung 1985 zahlreiche Museen und Galerien realisiert, darunter das Museo Jumex in Mexico-City, das Neue Museum in Berlin, sowie die sich noch im Bau befindliche James-Simon-Galerie, die als neues Entrée für die Berliner Museumsinsel dienen wird. Büros in London, Berlin, Mailand und Shanghai sind an den vielfältigen Projekten von David Chipperfield Architects beteiligt. Im Zentrum der Entwurfstätigkeit steht das Bemühen um architektonisch, gesellschaflich und intellektuell kohärente Lösungen, denen das Bekenntnis zur kollektiven Gestaltung von Projekten zugrunde liegt, vom ersten Strich bis zur Fertigstellung. Für den Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin erhielt David Chipperfield Architects den Deutschen Architekturpreis, von der Europäischen Union wurde es mit dem Mies van der Rohe-Preis für zeitgenössische Architektur ausgezeichnet.
Das Folkwang Museum wurde 1902 von Karl Ernst Osthaus als erstes Museum für zeitgenössische Kunst in Europa gegründet. 1922 wurde es nach Essen verlegt, nach der Zerschlagung der Sammlung durch die Nationalsozialisten wurde nach Kriegsende die Sammlungstätigkeit wieder aufgenommen, heute gehört das Folkwang Museum zu den bekanntesten Museen der klassischen Moderne in Deutschland. Der denkmalgeschützte Altbau wurde von David Chipperfield Architects Berlin durch einen Neubau ergänzt, der dessen Integrität unangetastet läßt und die architektonische Grundstruktur mit einer Abfolge von sechs Baukörpern und vier Innenhöfen, sowie Gärten und Wandelhallen erweitert. Die bereits existierenden Ausstellungsräume befinden sich auf der gleichen Ebene wie die neuen Gebäude, die bewußt ohne Niveauunterschied angegliedert wurden.

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, David Chipperfield Architects, Museum Folkwang, Ostfassade, Photographie © Christian Richters

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, David Chipperfield Architects, Museum Folkwang, Innenhof, Photographie © Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects
Das Folkwang Museum hat durch den Neubau eine spannende Raumfolge gewonnen, wobei die bis zu sechs Meter hohen Ausstellungsräume mit viel Tageslicht geflutet werden. Eine Bibliothek mit Lesesaal, ein Multifunktionssaal, Eventbereich, Depots und Restaurierungswerkstätten machen das Museum tauglich für die vielfältigen Anforderungen an ein modernes Museumsmanagement. Die Fassade wurde mit großflächigen Platten aus recycleltem Glas verkleidet, die dem Baukörper eine transparente Leichtigkeit verleihen und seine Farbgebung je nach Lichtsituation variieren. Der Neubau ist zur Innenstadt von Essen ausgerichtet und ergänzt das benachbarte Kulturwissenschaftliche Institut als städtebaulicher Akzent.
Gegenüber der Berliner Museumsinsel befindet sich das Galeriehaus Am Kupfergraben 10. Der klare viergeschossige Bau stellt einen Dialog zur historischen Umgebung her, ohne die Vergangenheit zu negieren. Der Grundriß entspricht dem im Krieg zerstörten Vorgängerbau, als Blockrandschließung dient das Gebäude auch der Stadtreparatur. Die Fassaden wurden aus Abbruchziegeln gemauert und kontrastieren mit den großflächigen Fensteröffnungen, was dem Gebäude einen stark skulpturalen Charakter verleiht. Die äußere Patina stellt ein Spannungsverhältnis zu den hellen großzügigen Galerieräumen her, in die Tageslicht aus verschiedenen Richtungen fällt. Das Galeriehaus funktioniert nicht nur zur Präsentation von Kunst, sondern auch als Wohnhaus oder Büro.

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, David Chipperfield Architects, Galeriehaus Am Kupfergraben 10, Berlin

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, David Chipperfield Architects, Galeriehaus Am Kupfergraben 10, Berlin, Photographie © Ioana Marinescu
Kuehn Malvezzi Architects mit Michael Riedel
Die Gestaltung öffentlicher Räume und Ausstellungen stehen im Zentrum der Arbeit des 2001 gegründeten Architekturbüros, dem Architekten, Designer und Kuratoren angehören. Kuehn Malvezzi Architects sind verantwortlich für die Architektur der documenta 11 in Kassel, die Friedrich Christian Flick Collection im Hamburger Bahnhof Museum für Gegenwart in Berlin sowie die Julia Stoschek Collection in Düsseldorf. Neben weiteren zeitgenössischen Sammlungen haben Kuehn Malvezzi Architects auch zahlreiche historische Sammlungen neugestaltet. 2009 erhielten sie den Deutschen Kritikerpreis in der Kategorie Architektur für ihren Entwurf für das Berliner Humboldtforum, in dem sie die Rekonstruktion des Stadtschlosses kritisch hinterfragten.
Der Bau der Modernen Galerie des Saarlandmuseums war 2013 von einem Baustopp betroffen. Aufgrund struktureller und finanzieller Probleme konnte der Rohbau des Gebäudes nicht fertiggestellt werden. In einem Konzeptverfahren wurde die Planung 2013 an Kuehn Malvezzi Architects neu vergeben. Die Architekten entwickelten zusammen mit dem Künstler Michael Riedel einen Entwurf, der die belastete Vorgeschichte des Baus nicht kaschiert, sondern zur Grundlage der Neukonzeption macht. Das Konzept spiegelt das Verhältnis des Museums zum öffentlichen Raum sowie zur politischen Situation einschließlich seiner Auftraggeber und Nutzer wieder. Das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit von Kuehn Malvezzi Architects und Michael Riedel ist eine architektonische Installation, die Schrift als prägendes Element verwendet und den Ort im wörtlichen Sinne lesbar macht.

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, Kuehn Malvezzi Architects, Erweiterung Moderne Galerie Saarlandmuseum, Photographie © Hans-Christian Schink
Hierfür wurden Tonaufnahmen der Debatte im saarländischen Landtag, in der über den Fortgang des Projekts diskutiert wurde, in Schriftbänder umgesetzt, die über die Fassade und den Museumsvorplatz laufen, wobei das Wort Museum stets hervorgehoben wird. Alt- und Neubau werden durch die Installation in ein neues Verhältnis gesetzt und der historische Eingang wird wieder zum Entrée für den Gebäudekomplex. Zusammen mit der benachbarten Hochschule für Musik Saar schafft das Gebäude einen neuen urbanen Raum in der Nähe der angrenzenden Altstadt. Das ursprünglich als Eingang konzipierte Atrium das Neubaus wurde in eine 14 Meter hohe Ausstellungshalle verwandelt, die durch Blickachsen von allen Ebenen erfahrbar wird.
Lederer Ragnarsdóttir Oei Architekten
Im Zentrum der Entwurfstätigkeit von Lederer Ragnarsdóttir Oei Architekten steht das Erschaffen eines Ortes. Ziel ist es, die Erfahrungen der langen Baugeschichte zu nutzen, ohne dabei zu historisieren. Die Räume, die dadurch entstehen, sollen durch ihre Körperhaftigkeit und ihren taktilen Charakter bestechen. In der Konzeptphase werden die Qualitäten existierender Bauten untersucht und in eine zeitgenössische Gestaltung umgesetzt, Architektur muß dabei nicht unbedingt neu erfunden werden. Lederer Ragnarsdóttir Oei Architekten nehmen regelmäßig an Architekturwettbewerben teil, zu ihren Erfolgen zählen das Historische Museum in Frankfurt a.M. und das Stadtmuseum Stuttgart.
Die Geschichte des Bauens war auch der Ausgangspunkt für den Entwurf des neuen Kunstmuseums in Ravensburg. Für die Sammlung Moderner Kunst von Peter und Gudrun Selinka entwarfen Lederer Ragnarsdóttir Oei Architekten Ausstellungsräume, die nur punktuell durch Fenster geöffnet werden. Prägendes Element ist die gewölbte Decke aus Ziegelschalen, die das Obergeschoss überspannt und das Körperhafte der Architektur betont. Ziel war es, das Kunstmuseum durch einen funktionalen Grundriß harmonisch in die historische Umgebung einzufügen, so als ob es schon immer Teil des gewachsenen Stadtbilds wäre. Unter Verzicht auf bewußte Konstraste wirkt die Fassade aus recyclelten Ziegeln vertraut, unterstützt wird diese Wirkung durch die einfache klare Grundstruktur des Baus. Die Ziegel stammen aus einem abgebrochenen Kloster an der belgischen Grenze und stellen den Nachhaltigkeitsgedanken auch in der Architektur in den Vordergrund. Zudem ist das Kunstmuseum Ravensburg weltweit das erste Museum, das im Passivhausstandard zertifiziert wurde.

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, Lederer Ragnarsdóttir Oei Architekten, Kunstmuseum Ravensburg, Photographie © Roland Halbe

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, Lederer Ragnarsdóttir Oei Architekten, Kunstmuseum Ravensburg, Photographie © Tomasz Lewandowski
Nieto Sobejano Arquitectos
Zu den wichtigsten Werken des vielfach preisgekrönten Büros Nieto Sobejano Arquitectos mit Niederlassungen in Madrid und Berlin zählen das Museo Madinat al-Zahra bei Cordoba, das Museum für Zeitgenössische Kunst in Cordoba und das Kunstmuseum Moritzburg bei Halle. Die archäologische Ausgrabungsstätte von Madinat al-Zahra, die die tausendjährige arabische Geschichte Spaniens offenbart, sollte durch einen Museumskomplex erschlossen werden. Ausgangspunkt des Entwurfs war die Landschaft Andalusiens, in der die weitläufige Anlage freigelegt wurde, weshalb die Vorgehensweise der Architekten von der behutsamen Ausgrabungspraxis der Archäologen inspiriert war. Auf die Errichtung eines Gebäudes, das die Ausgrabungsstätte und die Landschaft dominiert hätte, wurde bewußt verzichtet, stattdessen wurde das Museum wie eine Ausgrabung aus dem Boden herausgearbeitet, als ob es jahrhundertelang verschüttet gewesen wäre.

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, Nieto Sobejano Arquitectos, Museo Madinat al-Zahra, Cordoba, Photographie © Fernando Alda

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, Nieto Sobejano Arquitectos, Museo Madinat al-Zahra, Cordoba, Photographie © Roland Halbe
Der Entwurf basiert auf einem Raster mit einer festen Bezugshöhe, in die die rechteckigen Grabungsfelder eingezeichnet wurden, anschließend wurden die Ebenen anhand einer berechneten Schichtdicke nach unten entwickelt. Aus diesem Grundriß entstanden das Museum, das Auditorium, das Depot und die Ateliers, wobei die freigelegten Ruinen der arabischen Stadt als Strukturelemente in den Neubau integriert wurden. Die Ausstellungsräume des unterirdischen Museums gruppieren sich um massive Körper und Hohlräume, überdachte Flächen und Höfe, die als Leitsystem für die Besucher dienen. Ein quadratischer Patio umfaßt die wichtigsten öffentlichen Räume, neben den Ausstellungsräumen und dem Auditorium eine Cafeteria, einen Buchladen und eine Bibliothek. Verwaltung, Forschung und Restaurierungswerkstätten befinden sich an einem weiteren tieferliegenden Hof. Durch einen dritten Hof gelangen die Besucher ins Freie der Anlage. Die offene Struktur ermöglicht es, das Museum dem Fortschritt der Ausgrabungen entsprechend problemlos durch zusätzliche Pavillons zu erweitern. Betonwände und Dächer aus Cor-Ten-Stahl interpretieren die weiß-roten Wandmalereien der arabischen Medina neu, während das Spiel mit Licht und Schatten die Pracht der Kalifenstadt wieder auferstehen läßt.

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, Nieto Sobejano Arquitectos, Museo Madinat al-Zahra, Cordoba, Photographie © Roland Halbe
Staab Architekten
Das Berliner Architekturbüro Staab Architekten wurde 1991 nach einem Wettbewerbserfolg zur Realisierung des Neuen Museums in Nürnberg gegründet. Seitdem haben sich Staab Architekten auf Museumsneubauten spezialisiert, zu weiteren Erfolgen zählen die Erweiterung des Richard Wagner Museums in Bayreuth, das LWL-Landesmuseum für Kunst und Kultur in Münster und das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt. Die Qualität der Entwürfe wurde wiederholt mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet. Zu den bekanntesten Projekten von Staab Architekten gehört die Umgestaltung des Albertinums in Dresden. Der Foyerraum wurde als Folge des Jahrhunderthochwassers 2002 neu konzipiert, um für die staatlichen Kunstsammlungen im Innenhof des Albertinums ein neues Depot zu schaffen. Das Depot wurde nicht in, sondern über dem Hof gebaut, um den zentralen Hofraum des Renaissancebaus zu erhalten und ist nur als Lichtdecke zu erkennen. Die Besucherströme wurden umgeleitet, um zuerst in das Foyer im Innenhof zu gelangen und danach zum neu organisierten Ausstellungsparcour. Während der Schließzeiten des Albertinums kann der überdachte Hofraum gemietet werden und steht als Event-Location zur Verfügung.

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, Staab Architekten, Albertinum Dresden, Photographie © Werner Huthmacher, Installation Berserker I, II, III, Stella Hamberg
Das Konzept für das Kunstmuseum Ahrenshoop, in dem die Ausstellung Baumeister für die Kunst stattfindet, wurde von der Geschichte der Künstlerkolonie in Ahrenshoop inspiriert. Die Künstler, die sich um die Jahrhundertwende an der Ostsee niederließen, fühlten sich der Landschaft und der baulichen Tradition der Region tief verbunden und drückten dies auch in ihren Werken aus. Ein Kunstmuseum erfordert normalerweise einen relativ großen Baukörper, der nur schwer in den Ort zu integrieren gewesen wäre. Deshalb entwickelten Staab Architekten ein Ensemble von Einraumhäusern, die sich um das zentrale Foyer gruppieren und den Eindruck einer Gruppe von reetgedeckten Häusern erwecken. Zentrale Oberlichter in den Ausstellungsräumen lassen viel Tageslicht herein und betonen die aufs Wesentliche reduzierte Form der ortstypischen Bauweise. Vertikale Durchbrüche in den Wänden lassen die Werke der Künstlerkolonie in Ahrenshoop mit der Landschaft in einen Dialog treten. Die Dachform und die Fassaden aus gefaltetem Metall der miteinander verbundenen Häuser integrieren das Kunstmuseum Ahrenshoop perfekt in die Umgebung mit ihren charakteristischen Reetdächern.

Kunstmuseum Ahrenshoop – Baumeister für die Kunst, Staab Architekten, Kunstmuseum Ahrenshoop, Photographie © Stefan Müller
14.10.17 – 18.03.18 Kunstmuseum Ahrenshoop