

Japanische Ästhetik steht im Mittelpunkt der Ausstellung Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen im Neuen Museum Nürnberg. Ausgangspunkt der Exkursion in die Kunst und Kultur Japans sind das traditionelle japanische Teehaus als spiritueller Ort und die Lehren des legendären Teemeisters Sen no Rikyū. Die im Neuen Museum gezeigten Exponate umfassen Kunst, Design, Architektur und Fotografie als Beispiele einer kulturgeschichtlichen Entwicklung, die vom 16. Jahrhundert ausgehend auch für die Gegenwart noch von Bedeutung ist.
Die Teezeremonie ist in Japan Sinnbild einer ästhetischen Herangehensweise bei der Gestaltung von Objekten. Für Sen no Rikyū, den Begründer der japanischen Teezeremonie, der von 1522-1591 lebte, waren Harmonie, Respekt, Reinheit und Stille die grundlegenden Aspekte dieser spirituellen Erfahrung. Seiner Philosophie entsprechend war der Akt des zeremoniellen Teetrinkens ein synästhetisches Ereignis, sein ausgepräger Sinn für Schönheit prägte die Kultur Japans bis heute. Grundlage zum Verständnis der in der Teekultur manifestierten japanischen Ästhetik bildet der Zen-Buddhismus, nach dessen Lehre jeder Gegenstand eine Seele besitzt und mit entsprechendem Respekt behandelt wird. Alltägliche Verrichtungen und Objekte werden dabei zur Projektionsfläche einer Meditation über Materie und Zeit.
Das Teehaus dient dem Zweck, Raum und Zeit so zu verdichten, daß banale Dinge eine spirituelle Bedeutung erhalten und im Glanz des Besonderen erstrahlen. Die Teezeremonie, in Japan als Sado bezeichnet, setzt den Fluß der Zeit außer Kraft und zelebriert den reinen, unwiederholbaren Augenblick. Um zu dieser spirituellen Erfahrung zu gelangen, muß der Mitwirkende jedoch zu einer Transformation seines Ichs bereit sein, um sich durch die Veränderung der eigenen Wahrnehmung auf den „Weg des Tees“ zu begeben, der als ästhetische Praxis die Trennung von Kunst und Leben überwindet.


Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Exkursionen in die japanische Ästhetik.
Teemeister Sen no Rikyū empfahl für die Gestaltung eines Teehauses äußerste Einfachheit und die Verwendung von Materialien, die den Witterungseinflüssen und dem Verschleiß kaum widerstehen konnten. Diese tief im Zen-Buddhismus verwurzelte Geisteshaltung ist die Grundlage für eine Ästhetik der Leichtigkeit, der Zerbrechlichkeit und der Vergänglichkeit, die Objekte von überwältigender Schönheit hervorgebracht hat. Die gestalterische Konsequenz der Teezeremonie hat sowohl die Materialität und Konstruktion als auch die Vergänglichkeit der nüchternen und minimalistischen Architektur der Teehäuser maßgeblich inspiriert. Der Minimalismus japanischer Architektur hatte auch großen Einfluß auf die Funktionalisten der Bauhaus-Zeit und wirkt bis heute in vielen traditionellen und zeitgenössischen Designphilosophien nach.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Hiroshi Onishi, Teeschale RURIKO, Teeutensilien-Set
Japanische Popkultur ist Ausdruck einer Identitätskrise.
Um die in der westlichen Welt immer noch rätselhafte komplexe Kultur Japans zu verstehen, ist es jedoch notwendig, einen Exkurs in die Philosophie des Zen-Buddhismus zu machen, der in Japan immer noch lebendig ist, aber von dem aus dem Westen importierten Konsumverhalten teilweise überlagert wird. Wer heute nach Japan blickt, denkt bei japanischer Kunst und Kultur zuerst an Mangas und Animes. Diese Form der japanischen Popkultur ist jedoch Ausdruck einer Identitätssuche, in die Japan als Folge des Zweiten Weltkriegs gestürzt wurde.
Takashi Murakami zählt zu den bekanntesten zeitgenössischen Künstlern Japans und ist Begründer der sogenannten Superflat Bewegung mit ihren schrill-bunten verzerrten Bildern und skurrilen Manga-Figuren. Was heute ein japanischer Exportschlager ist und großen Einfluß auf die Popkultur im Westen hat, war ursprünglich ein Protest gegen das Konsumverhalten der japanischen Bevölkerung, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre jahrhundertealte Kultur vernachlässigte, um den kulturellen Errungenschaften des Westens und damit der Siegermächte USA und Großbritannien nachzueifern. Der Begriff Superflat bezieht sich sowohl auf die traditionell zweidimensionale Darstellung in der japanischen Grafikkunst und Animation, aber auch auf die Hohlheit der japanischen Konsumgesellschaft, die das Trauma des Zweiten Weltkriegs und der Atombombenabwürfe nie überwunden hat.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Shiho Kanzaki, Door to Purple
Das Ergebnis ist das soziale Phänomen der Otaku Kultur, in der nerdige Spezialisten in einer Art Parallelwelt leben und der kitschigen bis kindischen Popkultur Japans frönen. Dem Zerfall der japanischen Gesellschaft und der Rückzug des Individuums in die gegenwärtige Otaku Kultur steht aber auch heute noch die jahrhundertealte kulturelle Tradition Japans gegenüber, die in der Hochkultur der Edo Zeit ihre Blüte hatte. Die Edo Kultur beruht auf den philosophischen Grundlagen des Zen-Buddhismus und hat die handwerklichen und ästhetischen Traditionen hervorgebracht, die in der Ausstellung im Neuen Museum zu sehen sind.
Wabi-Sabi und die Schönheit des Imperfekten.
Eine zentrale Rolle in der Ästhetik der Edo Kultur spielt der Begriff Wabi-Sabi, er steht für eine Weltsicht, die auf der Akzeptanz des Vergänglichen und des Imperfekten beruht. Die Schönheit des Imperfekten spiegelt die Impermanenz, das Leiden und die Leere wider, die drei Grundpfeiler der Existenz. In der Wabi-Sabi Philosophie finden natürliche Objekte und Prozesse eine besondere Wertschätzung, wenn sie den drei grundlegenden Wahrheiten folgen: nichts ist von Dauer, nichts ist vollendet, und nichts ist perfekt. Der Begriff Wabi bezog sich ursprünglich auf die Einsamkeit des Lebens in der Natur fernab von der Gesellschaft, heute wird er mit den Vorstellungen von rustikaler Einfachheit, Frische und Ruhe verbunden. Sabi bedeutet die Schönheit und Heiterkeit, die mit dem natürlichen Alterungsprozeß einhergeht, der einem Gegenstand Patina verleiht oder seine Vergänglichkeit zum Ausdruck bringt. Wabi-Sabi steht für eine Befreiung von der materiellen Welt und die Transzendenz hin zu einem einfacheren Leben und ist somit die materielle Manifestation des Zen-Buddhismus.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Takano Chikkō, Bambuswurzel, Bambusschalen
Wabi-Sabi ist sozusagen ein spirituelles Training, um die einfachsten, natürlichen Gegenstände faszinierend und schön zu finden. Dadurch verschiebt sich die eigene Wahrnehmung der Welt dahin, daß z.B. ein Riß in einer Vase dem Objekt eine größere meditative Bedeutung verleiht. Vor allem alternde Materialien wie Holz, Papier und Textilien werden dadurch interessant, daß sie zeitlichen Veränderungen unterworfen sind. Auf das alltägliche Leben übertragen sind gerade die Dinge Wabi-Sabi am nächsten, die sich im Zustand des Erblühens oder des Verfalls befinden, da hier die Vergänglichkeit der Dinge am deutlichsten zum Ausdruck kommt.
Die spirituelle Philosophie des Zen-Buddhismus und die Ästhetik der japanischen Kunst haben schon immer eine Faszination auf das rationalistisch geprägte Europa ausgeübt. Nachdem sich Japan im 19. Jahrhundert geöffnet hatte, waren japanische Kunstgegenstände für viele Künstler der europäischen Avantgarde eine Quelle der Inspiration. Die Impressionisten, darunter Vincent van Gogh, ließen sich von den japanischen Farbholzschnitten inspirieren, und auch die Jugendstil-Künstler der Wiener Secession bis hin zu den Vertretern des Expressionismus wurden durch die japanische Kunst beeinflußt. Heute ist es die japanische Popkultur der Mangas und Animes, die einst in Japan aus dem Westen importiert, in transformierter Gestalt zurückkommt. Aber auch die minimalistischen Gestaltungsprinzipien der japanischen Ästhetik, wie sie von Teemeister Sen no Rikyū begründet wurden, haben großen Einfluß auf Design und Architektur in der westlichen Welt. Die Ausstellung im Neuen Museum beleuchtet die grundlegenden Prinzipien der japanischen Ästhethik, die in sieben Themenblöcken in den Bereichen Kunst, Fotografie, Design und Architektur erlebbar gemacht werden. Die kulturgeschichtliche Entwicklung der handwerklichen und gestalterischen Traditionen wird im Rahmen der Teekultur anhand innovativer Werkstoffe und Formen untersucht.
Japanische Ästhetik beruht auf der Vergänglichkeit des Seins.
Fließende Grenzen behandelt die Darstellung von Stofflichkeit an der Grenze des Wahrnehmbaren mit Werken von Hiroshi Sugimoto und Yasuaki Onishi. Innerhalb der traditionellen japanischen Ästhethik spielt der Begriff Yūgen eine große Rolle, was etwa so viel wie „dunkel“, „tief“ oder „geheimnisvoll“ bedeutet. In der japanischen Dichtkunst wird Yūgen verwendet, um die subtile Tiefe von Dingen zu beschreiben, die nur vage ausgedruckt werden können, die sich eines verbalen Ausdrucks entziehen. Hiroshi Sugimotos Serie mit Schwarz-Weiß-Fotografien unter dem Titel Seascapes drückt genau dieses Gefühl des Yūgen aus. Die dunstigen verschwommenen Ansichten des Meeres bieten dem Auge des Betrachters keine visuellen Anhaltspunkte anhand derer er räumliche Distanzen bestimmen könnte, Raum und Zeit verschmelzen in einem Gefühl des Unbestimmten.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Hiroshi Sugimoto, Seascapes, Bay of Sagami, Atami, 1997
Die Rauminstallation Reverse of Volume NMN von Yasuaki Onishi ist eine Mischung aus künstlicher Wolke und Topographie einer transparenten Landschaft. Mittels hauchdünner Folie und erkalteten Heißklebefäden schafft Onishi zugleich komplexe und entmaterialisierte Gebilde, die die Prozesse in der Atmospäre widerspiegeln. Jedes seiner Werke ist ein physikalisches Experiment, das den Raum durch eine schwerelose Membran visualisiert, die fragilen Gebilde werden schon durch den geringsten Lufthauch in Bewegung versetzt und scheinen zu atmen.


Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Yasuaki Onishi, Reverse of Volume NMN, 2017
Flüchtigkeit und Impermanenz beschäftigt sich mit den Grundüberzeugungen des Zen-Buddhismus, daß weltliche Dinge keinen Halt geben. Der Weg des Tees zelebriert die Unbeständigkeit des Seins, aus dem es kein Entrinnen gibt, indem er die Aufmerksamkeit des Erleuchteten auf jene flüchtigen, aber einzigartigen Momente lenkt, in denen er Bedeutung erkennen kann. Anläßlich des 800. Geburtstags des Mönchs und Dichters Kamo no Chōmei entwarf der Architekt Kengo Kuma 2012 einen Pavillon als Hommage an den berühmten Mönch. In seinem Werk Hōjōki beschreibt Kamo no Chōmei seine schlichte Hütte als architektonisches Sinnbild einer asketischen Weltsicht, das Fragilität ausstrahlen sollte und deshalb aus vergänglichen Materialien bestand. In seine Einzelteile zerlegt sollte seine Behausung in eine Kiste passen, um sie mit auf Reisen mitnehmen zu können. In dieser Tradition ist auch der Entwurf von Kengo Kuma demontierbar, Boden, Wände und Dach bestehen aus ETFE Folie, die tragende Konstruktion besteht aus Holzlatten und wird durch Magnetverbindungen zusammengehalten.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Kengo Kuma, Pavillon Hōjō-an
Naoya Hatakeyama hat sich auf das Fotografieren der Sprengung von Gesteinsschichten spezialisiert. In seiner fotografischen Serie Blast treffen zwei unterschiedliche Zeitdimensionen aufeinander, die unendliche Zeit der Erdgeschichte und der kurze Moment der Explosion. Beide Zeiträume entziehen sich der menschlichen Wahrnehmung, Hatakeyamas Fotografien nutzen die technischen Möglichkeiten, um dem Fluß der Zeit Momente explosiver Gewalt zu entreißen, die die geologische, erdzeitliche Ordnung auflösen.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Naoya Hatakeyama, Blast #5707 / #3906
Tod und Wiedergeburt als Quelle der Inspiration.
Das Begriffspaar Kire-Tsusuki bezeichnet den Gegensatz von Schnitt und Kontinuität, den der japanische Philosoph Ryōsuke Ōhashi in seinem Buch Kire no kozo beschreibt. Dieser Gegensatz wird besonders im Ikebana sinnfällig, das soviel wie „Beleben der Blume“ bedeutet. Die Pflanze stirbt durch das Abschneiden und wird in der Kunst des Ikebana anschließend künstlich wiederbelebt. Ōhashi legt in seinem Buch dar, wie das ästhethische Konzept des Kire-Tsusuki auch in Architektur, Gartenkunst, Design und Druckgrafik funktioniert.
Der Sessel Honey-pop von Tokujin Yoshioka aus dem Jahr 2001 hat sich inzwischen zu einem Designklassiker entwickelt und ist in zahlreichen internationalen Designsammlungen vertreten. Das Sitzobjekt besteht aus 120 Papierschichten, die sich beim Entfalten in eine stabile Wabenstruktur verwandeln und das Gewicht einer sitzenden Person aufnehmen können. Der Übergang vom flächigen Objekt zum dreidimensionalen Gebilde ist charakteristisch für die jüngste Entwicklung japanischer Sitzmöbel, die vom traditionellen Sitzen auf Tatami-Matten inspiriert sind.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Tokujin Yoshiaka, Honey Pop Chair
Issey Miyake ist eines der großen Modehäuser Japans mit internationalem Ansehen. Das Label stellt besondere Anforderungen an die Schnitte, deren Design sich durch die Faltung der Stoffe entwickelt. Aus dem zweidimensionalen Schnittmuster entstehen dadurch sowohl Oberflächenstrukturen wie auch dreidimensionale Formen, die den Körper frei umspielen, ohne ihn einzuengen. Die Entwürfe der Serie 132.5 sind experimentelle Weiterentwicklungen des Origami, deren Geometrien zusammen mit dem Wissenschafter Jun Mitani entwickelt worden sind. Mit Hilfe von Mitanis 3-D Programm werden Falten und gekrümmte Oberflächen von Textilien im Miyake Reality Lab erforscht. Issey Miyake sieht Textilien des 21. Jahrhunderts als Teil eines ökologischen Kreislaufs, weshalb die in 132.5 verwendeten Garne aus recyclelten PET-Flaschen hergestellt werden.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Issey Miyake, 132.5
Japan besitzt eine der ältesten Töpfertraditionen der Welt.
Der Wert der Unvollkommenheit widmet sich der japanischen Töpferkunst, die zu Japans ältesten Kunsthandwerken und künstlerischen Ausdrucksformen gehört, Irdenware wurde bereits ab 10.000 vor Christus im Neolithikum hergestellt, was die japanische Töpfertradition zu einer der ältesten der Welt macht. Die ästhetischen Grundlagen der Teezeremonie wurden vor allem durch die Keramik definiert, die oft durch einen rohen, einfachen Stil und nicht ganz symmetrische Formen geprägt ist. Im Geist der Wabi-Sabi Tradition weisen sowohl unglasierte Irdenware als auch glasierte Keramik in der Regel kleine Fehlstellen auf, die jedem Objekt einen einzigartigen Charakter verleihen.
Takahiro Kondo stammt aus einer der renommiertesten Keramiker-Familien von Kyoto, sein Großvater wurde mit dem Titel eines „lebenden Kulturdenkmals“ geehrt. Takahiro führt die Familientradition mit innovativen Konzepten fort, wobei er Keramik- und Glaskunst miteinander verbindet. Seine Keramiken werden während des Brennvorgangs oft mit Tropfen aus Gold, Silber oder Titan besprengt, was einen Überzug aus winzigen Perlen erzeugt. Um der Opfer der Tsunami-Katastrophe von 2011 zu gedenken, schuf er zwei Werkgruppen. Die mit Hotaru betitelte Gruppe von Objekten besteht aus Glas und Uran und ist den Seelen der Verschwundenen gewidmet, während die Objekte der Serie Tsunami mit ihrer Materialsprache die Kraft des Wassers und die Wanderung der Seelen symbolisiert.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Takahiro Kondo, Wave

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Takahiro Kondo, Tsunami

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Takahiro Kondo, Mist Bowl
Shiro Tsujimura ist einer der wenigen international erfolgreichen Keramikkünstler Japans, die nicht aus einer der in der Keramikherstellung berühmten Familiendynastien stammen, dennoch beruft er sich auf die tradierten Techniken seiner Vorfahren. Auf der Suche nach archaischen Urformen verleiht er seinen Gefäßen durch eine grobe Körnigkeit den Charakter vulkanischer Landschaften. Durch Experimente mit Ascheglasuren erzeugt Tsujimura beim Brennvorgang stets neue Farbverläufe, die den Eindruck vermitteln, einem langen Verwitterungsprozeß ausgesetzt gewesen zu sein, was seinen Keramiken die Patina eines würdevollen Alterns verleiht.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Shiro Tsujimura, Large Vase
Die Welt der japanischen Künste überrascht immer wieder mit rätselhaften Dingen, die Zeugnis einer verfeinerten Objektkultur sind. Natur und Artefakt untersucht die ihr zugrunde liegende Vorstellung von würdevoller Anmut, die nur aus dem Gefühl von Demut erwachsen kann. Künstlerische Perfektion ist in der japanischen Ästhetik nicht vorstellbar, doch um ihr zumindest nahezukommen, muß der Künstler die Natürlichkeit respektieren und dem Unvorhersehbaren eine Chance geben. Künstlerische Artefakte werden deshalb bewußt Prozessen der Alterung und Verwitterung ausgesetzt, um dem Gegenstadt Patina zu verleihen.
Der Künstler Reijiro Wada erschafft Bilder, indem er blanke Metallplatten mit Früchten bewirft, die durch ihren Säuregehalt chemische Reaktionen auf den metallischen Oberflächen auslösen und durch Oxidation bleibende Spuren hinterlassen. Die Ergebnisse, deren abstrakte Wirkung dem Tachismus und Action Painting im Westen nahekommen, sind vom Zufall bestimmt. Das Unvorhersehbare der Oxidation verweist auf das Konzept des Sabi, das mit dem Gemütszustand der Einsamkeit und des Verlusts einhergeht. Deshalb dürfen Patina und Rost nicht als Endzustand der verwitterten Oberfläche verstanden werden, sondern als auslösendes Moment für bestimmte seelische Reaktionen.


Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Reijiro Wada, Vanitas, 2017
Leben mit der Gefahr – wie Naturkatastrophen die japanische Ästhetik prägen.
Die japanische Inselkette liegt auf dem pazifischen Feuergürtel und wird deshalb regelmäßig von Naturkatastrophen heimgesucht, die im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung stets präsent sind. 1923 wurde die Region Tokyo von einem verheerenden Erdbeben erschüttert, dem 142.000 Menschen zum Opfer fielen, 2011 löste das Seebeben in der Tohoku-Region einen Tsunami und die Reaktor-Katastrophe von Fukushima mit 16.000 Toten aus. Mit dem Bereich Rekonstruktion widmet sich die Ausstellung dem Umgang Japans mit existenziellen Katastrophen. Solche Ereignisse erfordern einen Wiederaufbau sowohl in materieller wie auch in psychischer Hinsicht in Form von sinnstiftenden Gesten, um den gewohnten Alltag wiederherzustellen.
Das Architekturbüro Atelier Bow-Wow hat sich mit der existenziellen Notlage von Obdachlosen, die durch Naturkatastrophen ihre Bleibe verloren haben, auseinandergesetzt und dabei auf Zeichnungen von Wajirō Kon zurückgegriffen, der die Situation der Opfer des Erdbebens von 1923 in Skizzen festgehalten hatte. Indem Momoyo Kaijima und Yoshiharu Tsukamoto vom Atelier Bow-How die zeichnerischen Methoden von Wajirō Kon analysierten und weiterentwickelten, kamen sie zu ihrem Entwurf für eine Notunterkunft für die Obdachlosen der Tohoku-Region. Der Prototyp des Hauses wurde zusammen mit Handwerkern aus der Katastrophenregion entwickelt. Die Gestaltung der Hütte, die den Geruch von japanischem Zedernholz verströmt, ist bewußt unfertig, um den zukünftigen Bewohnern die Möglichkeit zu geben, ihre neue Bleibe selbst zu vervollständigen.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Atelier Bow-Wow, Concept House Prototype – Concept Itakura Cottage Project, 2016
Die Sektion Neues Handwerk beleuchtet die einzigartige japanische Handwerkstradition, deren sich wiederholende Gesten, Handgriffe und Prozesse seit Jahrhunderten von einer Generation an die nächste weitergegeben werden und als Teil eines immateriellen, kulturellen Erbes bewahrt werden. Die Ausstellung zeigt Objekte aus Textil, Papier, Metall, Bambus und Lack, die von der jüngeren Generation japanischer Kunsthandwerker neu interpretiert und innovativ weiterentwickelt werden. Hosoo ist ein Textilunternehmen, das 1688 gegründet wurde und für die Herstellung von Kimonostoffen berühmt ist. Die lange handwerkliche Tradition des Hauses wird intensiv gepflegt und durch aktuelles Textildesign erweitert, zu seinen Kunden gehören internationale Marken wie Comme des Garçons, Dior und Chanel. Um die extravaganten Wünsche der Haute Couture erfüllen zu können, verfügt Hosoo über einen Fundus von 5000 Textilmustern aus der Edo-Zeit, von denen in Nürnberg einige Originalzeichnungen auf Japanpapier gezeigt werden.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Hosoo, Schnittmuster für Kimono, 1900-1940
Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Video installation by Hosoo and Kyoto University of Art and Design
Das Unternehmen Kaikado wurde 1875 gegründet, als sich Japan dem Welthandel öffnete. Die Einfuhr von Zinnblech aus England beflügelte die Produktion der seit der Edo-Zeit verwendeten Teedosen. Die von Kaikado produzierten Teedosen stehen seit 130 Jahren für minimalistische Eleganz, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Sortiment um Kupfer- und Messingdosen erweitert. Der Dosendeckel ist so präzise gearbeitet, daß er sich durch sein Eigengewicht langsam herabsenkt und die Dose nahezu luftdicht verschließt. Die Teedosen der Manufaktur Kaikado repräsentieren die Erinnnerungen von Generationen, durch die Patina des täglichen Gebrauchs werden sie zu unverwechselbaren Objekten.

Neues Museum Nürnberg – Von der Kunst, ein Teehaus zu bauen. Kaikado, Teebehälter
27.10.17 – 18.02.18 Neues Museum, Nürnberg